Am Ende der Zeit
Eine Kanibaleske
DERHANK


Erzählung
eBook
21 Seiten
ISBN 978-3-7380-3063-1
0,99 €
erhältlich im Online-Buchhandel


Als hätte die Welt uns auf ein Abstellgleis der Zeit geschoben. Kanibaleske über Fleisch, Reis und die gerechten Opfer, die zu bringen sind.

»In sechs Wochen werden wir beginnen, uns gegenseitig aufzuessen!«

So beginnt die verstörende Geschichte von Kevin, einem ganz normalen Vorstadtjungen, der eines Tages feststellt, dass alle Tiere und Pflanzen der Welt gleichzeitig aufgehört haben zu leben.

Nachdem die Nahrungsvorräte aufgebraucht sind, haben die Menschen haben nur noch sich selbst. Von da an entscheidet das Los, wer sein Fleisch den anderen opfert.

Das Ende ist schon abzusehen, als im Himalaya ein fruchtbares Reisfeld gefunden wird, das 144.000 ernähren kann. Kevin und sein Vater machen sich auf den Weg ins Gelobte Land, wo ein allerletztes Opfer erwartet wird ...




Leseprobe Am Ende der Zeit


»In sechs Wochen werden wir beginnen, uns gegenseitig aufzuessen!«, sagte der Mann.
»Mama!«
»Jetzt nicht, Kevin, ...«, antwortete meine Mutter. Sie wirkte zerstreut und konnte den Blick nicht vom Fernseher lassen.
»Mama, die Goldfische sind tot. Alle!«

Ich ging zurück in den Garten und zählte: 22 silbrig-orangefarbene Körper, die aneinanderklebten wie umgedrehte Spielzeugboote, oder wie ein Floß, und ich fand das für meine Mutter Grund genug, nicht weiter fernzusehen. Denn als ich aus der Schule kam, waren sie alle noch gesund gewesen. Und das war gerade mal eine Stunde her. Als hätte man sie während des Mittagessens vergiftet.
Ich beschloss, meine Entdeckung Jonas zu zeigen. 22 Fische gleichzeitig tot. Aus dem Wohnzimmer hörte ich jemanden sagen: »Es gibt immer eine Hoffnung!«
Meine Mutter? Der Fernseher?

Ich lief den schmalen Weg durch die Gärten der Siedlung. Ein Windstoß ließ die Buchenhecke rascheln und unterbrach für ein paar Sekunden die Stille. Tatsächlich, es war so still geworden; seltsam still: kein Vogel zu sehen, kein Insekt. Ich riss einige Blätter von der Hecke und zerrieb sie zwischen den Fingern. Sie waren spröde. Ich betrachtete meine Finger: faseriges, feuchtes Grün, zerriebene Blätter eben. Sie rochen nicht. Nicht frisch, gar nicht.
Ich schob die Zweige auseinander und spähte vorsichtig in den Garten der Nachbarn. Kein Hund. Nicht einmal der Hund kam, um mich anzubellen. Der große Hund von Robert, mit seinem Riesenmaul. Ich entdeckte ihn auf der Terrasse. Lag da und schlief. Oder war tot. Totgeschlagen von Robert. Mit seinem Baseballschläger.

Jonas war blass und wirkte so ernst, als er mir die Tür öffnete. Seine Eltern waren unterwegs, einkaufen, er sah mit seiner großen Schwester fern. Sie saß regungslos im Sessel, ganz nah am Fernseher, hing vor dem Bildschirm wie eine Motte am Fenster. Sie weinte.

Am nächsten Morgen fuhr ich zur Schule. Mit dem Bus. Wie immer. Alles war wie immer. Nur dass meine Mutter nicht ein einziges Mal gelächelt hat. Dass sie nicht einmal »Tschüss!« gesagt hat. Mit stummen, routinierten Bewegungen waren meine Pausenbrote im Tornister verschwunden, stumm hatte ich unser Haus verlassen.
Autos fuhren. Flugzeuge flogen. Wie immer. Doch die Geräusche waren irgendwie anders als sonst, sperriger, sie hatten etwas von ungeölten Maschinen. Die Straße klang nicht mehr, sondern jedes Ding klang für sich. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, aber sonst waren alle Geräusche miteinander verbunden gewesen, wie ein Teppich, ein Klangteppich, den man kaum wahrnimmt. Jedes Flugzeug, jedes Auto, jede zuschlagende Tür, jeder Schritt und jedes Wort waren in meinen Ohren nun wie für sich isoliert. Als irrten die Geräusche umher.

[...]